Mythos #7
Kann das nicht alles eine Maschine machen?
Künstliche Intelligenz (KI) findet heutzutage schon vielerorts Anwendung und ergänzt die Vielfalt unseres Lebens in mannigfaltiger Art und Weise. Chatbots hören uns zu und geben uns die Antworten, die wir (nicht) hören wollen, Deepfakes schaffen eine neue Ebene der Wirklichkeit (und der Unsicherheit), in der medizinischen Diagnostik werden Mediziner*innen beim Auswerten von Ergebnissen unterstützt und unsere Feeds werden von scheinbar unsichtbarer Hand gemäß unserer Interessen und innerer Gelüste vorsortiert. Und wenn man mit KI auch noch „vorausschauende Polizeiarbeit“ machen kann, dann muss doch dieses leidige Sprachenthema auch von Maschinen gelöst werden können.
Aber bevor dem Autor zu viel Voreingenommenheit, Tendenziösität und unreflektiertes Ignorieren von Fakten zum Vorwurf gemacht werden kann, schauen wir uns die Frage genauer an, ob Übersetzen und Dolmetschen im sozialen Raum durch KI erleichtert oder gar durchgeführt werden kann.
Grundsätzliches zu KI und Textproduktion
Technologie unterstützt Menschen schon lange beim Transfer zwischen Sprachen. Angewendet, gesteuert und kontrolliert wird diese aber von Menschen, auch im Falle von künstlicher Intelligenz.
Diese produziert ihre Ergebnisse gestützt auf riesige Datenbanken für sprachregelbasierte Systeme, auf neuronale Netze und Large Language Models.
Das Produkt einer KI (Texterstellung oder Übersetzung) sieht mittlerweile auf den ersten Blick sehr gut aus, ist aber nicht selten nur „kohärenter Schwachsinn“. Inhaltliche oder terminologische Fehler, falsche Bezüge oder Auslassungen lassen sich in einem „guten“ Text besser verbergen. Eine KI „versteht“ eine Textsequenz nicht im klassischen Sinne, sondern errechnet nur auf Basis der Daten, über die sie verfügt oder mit der sie gefüttert wurde, ein Produkt.
Eine Kontrolle der Bezugsquellen kann allein aufgrund des schieren Umfangs nicht erfolgen. Je schlechter, fehlerhafter, unvollständiger die Quellen sind, desto schlechter ist das Endprodukt.
Übersetzen mit KI
Wenn für den Sprachtransfer (egal ob mündlich oder schriftlich) technische Hilfsmittel verwendet werden, dann handelt es sichimmer um eine Übersetzung. Es findet eine Texteingabe statt und als Ergebnis bekommt man eine Textausgabe. Dazwischen steht eine Datenbank.
Im Falle des Übersetzens kann eine KI nur in begrenztem Rahmen die Komplexität der Sprache in dem jeweiligen passenden Kontext erfassen und qualitativ hochwertige, korrekte und vollständige Übersetzungen herstellen, da die Referenzquelle des zu übersetzenden Textes nicht der Text selbst mit allen Implikationen, Adressatenorientierung und Botschaft ist, sondern zahllose Datenquellen aus den Datenbanken, mit denen das Programm verbunden ist.
Weitere Schwierigkeiten, die mit KI-Übersetzungen einhergehen:
- Programme werden mit einem wirtschaftlichen Interesse geschrieben, sogenannte Nischensprachen (und damit verbundene Datenquellen) sind hier unterrepräsentiert und liefern daher schlechtere Ergebnisse. Sicherlich werden aber durch die Verwendung der Programme die Quellen auch für Nischensprache größer und die Übersetzungen besser.
- Der Datenschutzaspekt bleibt weitgehend unbeachtet. Jede Eingabe ins Dolmetsch-/Übersetzungsprogramm wird der KI und ihren Quellen ungefiltert zur Verfügung gestellt. Integre Algorithmen sind eher selten.
- Das Nacharbeiten einer von KI produzierten Übersetzung ist so anspruchsvoll und aufwendig wie das Übersetzen selbst. Die bearbeitenden und kontrollierenden Personen brauchen hohe Konzentration, Fachwissen bzgl. der übersetzten Thematik und Wissen über das Vorgehen von KI-Systemen.
„Dolmetschen“ mit KI
Beim Dolmetschen wird die Komplexität der Sprache noch über Begleitphänomene wie Mimik, Gestik, Betonung, Stimmlage oder situativen Kontext angereichert. KI-Dolmetschprogramme sind eben nichts anderes als KI-Übersetzungsprogramme. Tonfall, Sarkasmus, Humor, Doppeldeutigkeiten, Dialekt, Akzent, Code-Switching, Slang oder die eben genannten Begleitphänomene werden darüber nicht abgebildet, solange sie nicht als Zusatzinformation der KI an die Hand gegeben werden. Wenn diese Eingaben bei jeder Äußerung geschehen würden (und das müssten sie, damit ein möglichst korrektes Bild entstehen kann), würde der Vorteil der KI von Echtzeitsprachtransfer sowie von Zeit- und Geldersparnis sofort wieder verschwinden.
Weitere Schwierigkeiten, die mit KI-Dolmetschprogrammen einhergehen:
- Die KI-Infrastruktur muss vorhanden sein, muss funktionieren und es braucht jemanden, der sie bedient.
- Die bedienende Person ist dann für die Qualitätssicherung verantwortlich. Ist das Ergebnis jeder gedolmetschten (übersetzten) Äußerung präzise, vollständig, korrekt und berücksichtigt es alle sprach- und situationskontextuellen Aspekte? Sie müsste klarstellen, nuancieren, paraphrasieren oder schlichtweg korrigieren. Das wäre die perfekte Arbeit für eine qualifizierte dolmetschende Person…
- Wie auch beim KI-Übersetzen ist die Frage nach dem ethischen Kodex unbeantwortet. Wie wird Privatsphäre sichergestellt? Wie steht es um die Sicherheit, dass keine sensiblen Daten praktisch jedem/jeder zur Verfügung gestellt wird? Wie kann so überhaupt eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre und -rahmung hergestellt werden?
- Die Gespräche im sozialen Raum sind auch immer reale Beziehungsarbeit, sie kann nur schwerlich auf Maschinen übertragen werden.
Fazit
Zum jetzigen Zeitpunkt können KI-gestützte Systeme zum Übersetzen/Dolmetschen eine Ergänzung zum Repertoire der beteiligten Personen darstellen. Die KI liefert auf den ersten Blick gute Ergebnisse und steht sicherlich noch am Anfang der Entwicklung, da die zugrunde liegende Datenlage täglich umfangreicher wird und es konsequent Nachbesserungen und Anpassungen gibt. Grundsätzlich kann man sagen: Je einfacher und allgemeiner die Gesprächssituationen sind, desto eher eignet sich momentan der Einsatz von KI-gestützten Übersetzungssystemen.
Jedoch braucht es derzeit eine menschliche Instanz, die bedient, die richtigen Eingaben tätigt und die Qualität des Ergebnisses prüft. Das gilt für das Übersetzen und noch viel mehr für das Dolmetschen. Das Anforderungsprofil für diese Instanz erfüllen am besten: qualifizierte Übersetzer*innen und Dolmetscher*innen. Auch sie sind nicht vor Fehlern gefeit, jedoch können sie die „menschenbasierten“ Kommunikationssignale und -begleitumstände besser bzw. exklusiv mit in das Endprodukt einweben.
Wir können uns also im sozialen Raum nicht auf die faule Haut legen und das KI-Faktotum die ganze Arbeit erledigen lassen. Wir alle brauchen qualifizierte Sprachmittler*innen/ Dolmetscher*innen und sie sind im Grunde genommen (noch lange) nicht substituierbar.