Mythos #6

Mythos #6 money, argent, dinero, гроші, pieniądze: Sprachmittlung ist (zu) teuer!

„Dürfte ich heute in Ihrem Restaurant umsonst essen?“

„Liebe Frau Anwältin, Sie übernehmen meinen Fall doch sicherlich pro bono, oder?“

„Wir putzen Ihre Fenster und zwar gratis!

„Das bekannte Modelabel XY verschenkt ab sofort seine Artikel!“

Solche Geschichten passieren leider nur in unseren Träumen oder irgendwelchen schönen Utopien. Merkwürdigerweise gibt es in Deutschland oftmals (nicht immer, nicht überall) die Erwartungshaltung, dass sprachmittelnde Personen ihre Dienste umsonst anbieten und auch umsonst anbieten sollen.

Dabei ist das Anforderungsprofil einer sprachmittelnden Person, die qualitätsvoll arbeitet enorm und fast schon irrwitzig komplex:

  • Gute bis sehr gute Kenntnisse in mindestens zwei Sprachen
  • Wissen um kulturelle Eigenheiten und Feinheiten, ebenfalls zweifach
  • Fest definiertes und unumstößliches Rollenverständnis inklusive Allparteilichkeit und Verschwiegenheit
  • Ausgeprägtes Institutionenwissen in den Bereichen Gesundheit, Arbeit, Bildung, Verwaltung und Beratung
  • Passendes Fachvokabular zu all diesen Bereichen
  • Gut ausgeprägte Dolmetschtechniken
  • Große Merkfähigkeitskapazitäten
  • Große Belastbarkeit, einstudierte Selbstschutzmechanismen und Flexibilität
  • Rund um die Uhr verfügbar
  • Mobil
  • Technisch versiert im Bereich Videodolmetschen

Das alles erinnert an das „20 Jahre alt mit 30 Jahren Berufserfahrung-Paradoxon“, vor allem, wenn sprachmittelnde Personen mit eigener Kraft, Energie, Zeit und Geld oft in Vorleistung gehen, damit sie dieses Profil möglichst gut erfüllen und eine qualitätsvolle Dolmetschung liefern können und dann gratis arbeiten sollen.

An dieser Stelle muss man einräumen: Ja, Sprachmittlung kostet Geld und sie muss auch Geld kosten, aber sie ist nicht „teuer“. Vor allem, wenn man die Folgen eines schlecht- oder nicht-gedolmetschten Gesprächs weiterdenkt:

 

  • Missverständnisse, die zu Fehlentscheidungen, Fehlbehandlungen oder Fehlinformationen führen können. Diese wiederum sind in der Regel richtig teuer, materiell und immateriell.
  • Termine können nicht in der vorgesehenen Form stattfinden, oft kommt es dadurch zu Folge- und Folgefolgeterminen, die meist keinen neuen Erkenntnisgewinn bringen. Fachpersonen und ihre Arbeitszeit werden unnötig in Anspruch genommen. 
  • Klient*innen fühlen sich miss- oder unverstanden, womöglich gar diskriminiert und verlieren so Vertrauen in Institutionen des öffentlichen Lebens.
  • Klient*innen können schlechter ihre eigenen Belange vertreten und in der Gesellschaft partizipieren. Der Integrationsprozess verlangsamt sich.

Mit Blick auf das Anforderungsprofil von sprachmittelnden Personen und auf den Mehrwert, den sie über ihre Tätigkeiten generieren, ist eine adäquate Bezahlung eigentlich eine Selbstverständlichkeit und es ist traurig, dass darüber noch immer gestritten und dafür noch immer gekämpft werden muss. Diese Personen leisten wertvolle und wertschöpfende Arbeit, dafür müssen sie einen Gegenwert erhalten. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt von „Sprachmittlung kostet“ ist die Arbeit von Pools und Vermittlungsstellen in Rheinland-Pfalz. Hier arbeiten Menschen, die die passenden Sprachmittler*innen den Einsätzen zuordnen, die Einsätze administrativ von der Anfrage bis zur Rechnungsstellung abwickeln, Troubleshooting betreiben, Netzwerk- und Sensibilisierungsarbeit leisten, sich Gedanken um Qualifizierung und Psychohygiene von Sprachmittler*innen machen oder diese sogar durchführen und sich bemühen, allen Menschen, die sie brauchen, Sprachmittlung in Rheinland-Pfalz zur Verfügung zu stellen. 

Vermittlungsstellen und Sprachmittler*innen leisten Arbeit und Arbeit kostet Geld. Im Restaurant, in der Anwaltskanzlei, bei der Fensterputzfirma, beim Modelabel und eben auch im Bereich der Sprachmittlung im sozialen Raum.

Sprachmittlung ist nicht (zu) teuer, nur ohne sie wird es teuer. Für uns alle.