Mythos #8

Sprachmittlung und Ehrenamt

Am 03.06.2025 veranstaltete das Haus der Sprachmittlung eine bundesweite Fachtagung. Die Teilnehmer*innen hatten während des Tages die Möglichkeit, Fragen an das HdS zu richten. In der Dokumentation zur Veranstaltung haben wir und die vortragenden Expert*innen diese Fragen beantwortet, aber wir wollen an dieser Stelle das Thema der Ehrenamtlichkeit beim Dolmetschen im sozialen Raum näher betrachten und ausführlicher behandeln. Auch um dem Mythos entgegenzutreten, dass die Sprachmittlung, die eine Vielzahl von Fachpersonen im sozialen Raum unterstützt, allein über die Ehrenamtlichkeit getragen werden kann.

Frage 1 von der Fachveranstaltung

1. Wäre es wichtiger, die ehrenamtliche Sprachmittlung zu aktivieren und zu fördern oder den Standard für Sprachmittlung im kommunalen Bereich insgesamt zu erhöhen. Was geht vor: Quantität oder Qualität?

Eine klassische Huhn-oder-Ei-Frage. 

In einem Bereich, der gleichzeitig so wichtig und dennoch so unsystematisch und defizitär ist, kann im Moment die Antwort nur lauten: Beides.

Wenn man sich die Bedarfe im sozialen Raum anschaut, dann können diese im Moment in Rheinland-Pfalz nicht einmal ansatzweise mit den im Moment zur Verfügung stehenden Sprachmittler*innen gedeckt werden. Vor allem, wenn es um Einsätze im ländlichen Raum und in Einrichtungen mit einer großen und konzentrierten Sprachenvielfalt geht oder bei selteneren Sprachen, die nur von wenigen Sprachmittler*innen abgedeckt werden. Daher gilt hier ganz klar die Devise: Rheinland-Pfalz braucht dringend mehr Sprachmittler*innen im sozialen Raum.

Doch um eine größere Anzahl von Sprachmittler*innen zu finden und in die Einsätze zu bringen, braucht es eine mitwachsende Struktur von Vermittlungsstellen, die im besten Fall ihre Sprachmittler*innen qualifiziert oder an Qualifizierungsprogramme verweist. Das wäre dann die nächste Struktur, die ausgebaut werden müsste, um sich möglichen Qualitätsstandards (die auf jeden Fall nötig und wichtig sind) anzunähern. Aber einfach nur rote Linien einzuziehen und Standards durchzusetzen, würde hier zu kurz greifen und weder Quantität noch Qualität erhöhen. Mitwachsende Strukturen in Sachen Vermittlungs- und Qualifizierungsstellen sowie damit dann verbundene Alternativlosigkeit von qualitätsvollem Dolmetschen sind hier die Zauberwörter, die einfach von den Lippen gehen, aber ungleich schwerer in einem Bundesland wie Rheinland-Pfalz umzusetzen sind.

Wenn es perspektivisch gelingen sollte, diese Strukturen aufzubauen, steht die Perspektive, das qualitätsvolle Dolmetschen im sozialen Raum aus dem Ehrenamt herauszulösen und auf die nächste Ebene zu heben. Eine ehrenamtliche Struktur ist per se nichts Schlechtes, aber hat im Bereich der Sprachmittlung etwas Beliebiges und Unverbindliches. Zudem kann man ehrenamtliche Dolmetscher*innen nur bedingt überzeugen, ihre Zeit und Energie in Qualifizierungsmaßnahmen zu stecken, ohne dabei einen sinnvollen Gegenwert zu erhalten. Wenn sich der soziale Raum in der Ausführung seiner Aufgaben auf ein derlei wackeliges und zufälliges System stützt (was er im Moment in der Mehrheit tut), dann sind wir weit davon entfernt, von Qualität zu sprechen. Und damit meinen wir nicht nur die Dienstleistung der Sprachmittler*innen.

Frage 2 von der Fachveranstaltung

2. Ehrenamtsmanagement ist Beziehungsarbeit. Je automatisierter und digitalisierter die Vermittlung, desto unpersönlicher die Beziehungsarbeit und geringer die Communitypflege. Wie schaffen wir den Spagat zwischen notwendiger Effizienzsteigerung durch Digitalisierung und unterschätzter Beziehungsarbeit?

 

Wir müssen in Rheinland-Pfalz derzeit davon ausgehen, dass die Sprachmittlung noch eine Weile im Ehrenamt verortet bleibt. Das finden wir nicht gut und wir sehen uns inmitten eines Entwicklungsprozesses. In diesem System der ehrenamtlichen Sprachmittler*innen spielen die Vermittlungsstellen in Rheinland-Pfalz eine wichtige Rolle, da sie Bedarfe erheben und sie mit passenden Sprachmittler*innen versorgen. Dies kann man sicherlich aufwändig mit Telefonaten, Gesprächen und einer Flut von E-Mails erledigen, worüber auch Beziehungsarbeit als Nebenprodukt geleistet wird.

Wenn es aber den Vermittlungsstellen vermehrt gelingt, ihre Vermittlungs- und Abrechnungsprozesse zu automatisieren, wird dadurch Zeit frei, die in größerem Umfang in die wichtige Beziehungs-, Akquise- und Netzwerkarbeit investiert werden kann. Das Haus der Sprachmittlung hat in den letzten Jahren erkannt, dass regionale Vermittlungsakteur*innen sehr wichtig sind und die einzelnen persönlichen Beziehungen zu Sprachmittler*innen, Fachpersonen und Multiplikator*innen den Erfolg ausmachen und Sprachmittlung an sich enorm aufwerten. Wenn es gelingen kann, die administrativen Prozesse zu verschlanken, kann mehr Energie und persönliches Engagement in diese wichtige Arbeit gesteckt werden, z.B. auch in Beratung und Qualifizierung der (zukünftigen) Dolmetscher*innen. Die einzelnen Vermittlungsstellen sind wichtige regionale Akteure, die in dem Prozess des Aufbaus von Strukturen und der Professionalisierung von Dolmetschen im sozialen Raum vor Ort die Menschen anspricht, sensibilisiert und miteinander in Kontakt bringt. Diese Aufgabe können sie aber nur bedingt erfüllen, wenn sie zu sehr damit beschäftigt sind, Anfrage A mit Sprachmittler*in X, Y oder Z in Einklang zu bringen.

Nur mit den regionalen Vermittlungsstellen als Botschafter*innen für gutes Dolmetschen im sozialen Raum kann der Schritt aus dem Zufälligen, dem Ungesteuerten und am Ende auch aus dem Ehrenamt heraus gelingen.

Frage 3 von der Fachveranstaltung

3. Wann ist das Haus der Sprachmittlung erfolgreich? Wie bemisst man den Erfolg?

 

Das Haus der Sprachmittlung ist dann erfolgreich, wenn es in RLP (oder gar in Deutschland) überflüssig geworden ist. Wenn alle Menschen im sozialen Raum überall in RLP auf qualifizierte Dolmetscher*innen zugreifen können. Wenn die qualifizierten Dolmetscher*innen einen hohen Standard an qualitätsvollem Dolmetschen erfüllen und auch dementsprechend anerkannt und vergütet werden. Wenn das qualitätsvolle Dolmetschen alternativlos geworden ist. Wenn Sprachmittlung im sozialen Raum eine Selbstverständlichkeit geworden ist und kein nischenhaftes Zufallsprodukt mehr ist. Wenn Sprachmittlung am Ende für alle da ist. Wenn Fachpersonen keine Abstriche in ihrem Wirkungsgrad mehr machen müssen, nur weil es eine sprachliche Hürde gibt. Wenn Menschen im Sprachlernprozess ihre Interessen formulieren können, alle nötigen Informationen erhalten und durch gedolmetschte Gespräche unabhängiger werden. 

Für diese Art von Erfolg eine Metrik anzugeben, ist daher ein wenig schwierig. Aber fragen Sie uns und die Menschen im sozialen Raum, ob wir und sie im Moment mit der Situation des Dolmetschens im sozialen Raum zufrieden sind. Und fragen Sie uns immer wieder.

 

Das Ehrenamt spielt in Deutschland eine große und wichtige Rolle, wir können dankbar für jede engagierte Person sein, die ihre Zeit und Hingabe der Gesellschaft zur Verfügung stellt, egal ob auf dem Fußballplatz, bei der Tafel, in den Kirchen, bei der Feuerwehr oder bei den Pfadfindern.

 

Dass das Dolmetschen im sozialen Raum das Ehrenamt perspektivisch verlassen soll, soll dieses nicht abwerten, ganz im Gegenteil. Aber in dieser Konstellation im sozialen Raum, in dem Kinder, Angehörige, technische Lösungen oder die ein oder andere Pantomime als Gesprächsmittler eingesetzt werden und deren Konsequenzen man sich lieber nicht vorstellen möchte, braucht es mehr Verbindliches und mehr Organisation.