Mythos #3

BYOD – Bring your own Dolmetscher*in?

In vielen Bereichen des sozialen Raums ist es mehr der Standard als die Ausnahme, dass es die Aufgabe der Klient*innen ist, eine dolmetschende Person zu organisieren oder mitzubringen. Oft ist es auch so, dass Klient*innen aus eigenem Antrieb eigene dolmetschende Personen, denen sie vertrauen, zu den Terminen mitbringen.

Auf Seite der Fachpersonen findet dieses Phänomen gespiegelt auch statt. Hier werden Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen oder andere sich in der Nähe befindliche Personen mit den passenden Sprachkenntnissen in den Einsatz berufen. Die „eigene“ sprachmittelnde Person mitzubringen oder zu organisieren ist oft eine Lösung, die nahe liegt und schnell Abhilfe verschafft.

In beiden Fällen kann somit auf den ersten Blick das Kommunikations- und Verständigungsproblem gelöst werden. Jedoch haben die beteiligten Parteien oft keinen Eindruck darüber, wie gut oder vollständig der Sprachtransfer funktioniert, die jeweils andere Sprache bleibt ihnen nach wie vor verborgen und sie müssen sich mit dem Dolmetschprodukt begnügen, ob nun mit gutem oder schlechtem Gefühl.

Dolmetscher*innen, die sich einer der beiden Parteien (Fachpersonen oder Klient*innen) zuordnen lassen, sind nicht per se schlechte Dolmetscher*innen. Zudem sind sie in vielen Kontexten die einzige oder naheliegendste Lösung, die Rahmenbedingungen und Verfügbarkeiten lassen in manchen Fällen kein anderes Vorgehen zu. Diesem Umstand tragen wir Rechnung, trotzdem wollen wir in diesem Mythos ein wenig die Tür in den schwarzen Raum öffnen und aufzeigen, welche Monster sich dahinter verbergen können und dafür sorgen, dass das Gespräch nicht automatisch „besser“ wird, wenn eine Person in die Rolle einer/einer Dolmetscher*in schlüpft, aber gleichzeitig noch andere Hüte aufhat und sich einer Partei verpflichtet fühlt. Die Monster werden noch größer, wenn die Verdolmetschung von Menschen übernommen wird, die in dieser Rolle nichts zu suchen haben.

Also gut, nehmen wir unseren Mut zusammen und öffnen wir zusammen die Tür, in der Hoffnung sie mittelfristig für immer geschlossen zu halten.

Schauen wir zunächst auf die Position von Sprachmittler*innen, die von den Klient*innen mitgebracht werden. In der Regel sind das Personen, die in einem Bekanntschafts- oder Verwandtschaftsverhältnis zu den Klient*innen stehen. Eingangs wollen wir es nicht unerwähnt lassen, dass in diesen Fällen die sprachmittelnden Personen oft eine qualitätsvolle Dolmetschleistung erbringen und die nachfolgend erwähnten Qualitätsabstriche nicht automatisch erfolgen.

Je nach Terminkontext liegen die Loyalitäten in diesem Fall ganz klar verteilt und es besteht immer die Möglichkeit, dass Aussagen gefiltert, verändert oder vorweg abgesprochen werden. Die Klient*innen und die sprachmittelnde Person treten von Beginn an als Einheit auf und versuchen womöglich das bestmögliche Ergebnis in dem Gespräch herauszuholen. Die Fachperson ist zwar in einem Hierarchieverhältnis über den anderen Beteiligten anzusiedeln, ist aber durchweg in der Unterzahl und hat keine Einblicke, ob Antworten und Informationen abgesprochen oder verändert wurden.

Gleichzeitig besteht auch die Möglichkeit, dass die Klient*innen gegenüber der dolmetschenden Person nicht ganz ehrlich sind, weil sie sich ihnen nicht offenbaren möchten, auch aus Angst, dass Sachverhalte in die Community getragen werden.

Gerade wenn sensible, persönliche, peinliche oder die Ehre betreffende Inhalte besprochen werden, kann es passieren, dass die Klient*innen nur das wiedergeben, was sie als unverfänglich erachten. Mitgebrachte sprachmittelnde Personen müssen auch gar nicht in einem Vertrauensverhältnis mit den Klient*innen stehen, sondern einfach nur deren Sprache sprechen. Auch in diesen Fällen können Klient*innen Informationen zurückhalten, die zwar für diesen Termin wichtig wären, aber es für sie oder ihre Familie nachteilig wäre, wenn sie weitergegeben würden.

Ebenso ist es durchaus realistisch anzunehmen, dass die sprachmittelnden Personen eine „gatekeeper“-Funktion übernehmen und in beide Richtungen entscheiden, wie und welche Informationen übertragen werden (sollen). Sie entscheiden oftmals welche Informationen relevant oder den Klient*innen zuzumuten sind. Sie kennen sich oftmals im System aus und ändern Antworten der Klient*innen ab, damit ihnen daraus kein Nachteil erwächst.

Darüber hinaus ist es nicht selten der Fall, dass die mitgebrachten sprachmittelnden Personen keine oder wenig Qualifizierung erfahren haben und dementsprechend Defizite auf der lexikalischen Ebene oder Mängel hinsichtlich des Institutionenwissens aufweisen. Auch hier haben die Fachpersonen maximal 50% des Einblicks und können nur schwer beurteilen, wie viele oder wie gut Informationen weitergegeben werden.

Allein durch diese skizzierten Fälle, vor allem wenn sie in Kombination auftreten, kann in den seltensten Fällen von einem guten Informationsaustausch gesprochen werden, von dem alle Beteiligten profitieren. 

Auch wenn Fachpersonen Kolleg*innen oder andere Personen aus dem Arbeitsumfeld heranziehen, um die Dolmetschfunktion zu übernehmen, ist eine inhaltlich qualitätsvolle Dolmetschung nicht garantiert, ein Rollenkonflikt besteht aber auf jeden Fall.

Verschlimmert oder dramatisiert werden diese Monster, wenn die Rolle der sprachmittelnden Person durch Kinder oder Jugendliche übernommen wird. Sie können und sollten diese Aufgaben aus verschiedenen Gründen nicht erfüllen. Zunächst verfügen sie oft noch nicht über das Weltwissen und über Vorstellungsinhalte bezüglich des Umfangs und der Tragweite der Termine der Familie. Hier findet dann eine Rollenumkehr statt, in welcher das Kind nicht selten die Inhalte zu dolmetschen hat, die es am Ende selbst betreffen. Auf jeden Fall ist das Kind oder die minderjährige Person in einem ungewohnten Setting sehr exponiert und wird von zwei Seiten mit Verantwortung überfrachtet. Wenn hier bewusst oder unbewusst Einflussnahme, Informationsfilter oder Manipulationen in das gedolmetschte Gespräch einfließen, sind die Konsequenzen oft weitreichend und auf jeden Fall außerhalb des Verantwortungsbereichs einer nicht volljährigen Person.

Ebenso haben solche Termine oft hohe lexikalische Anforderungen, die ohnehin schon oft als sozialer Ausgrenzungsmechanismus wirken. Wenn hier nicht ein qualitätsvolles Dolmetschen vorgenommen wird, werden Interessensäußerung und Informationszugang weiter eingeschränkt und es manifestieren sich auf allen Seiten Missverständnisse und Stereotypen.

In der rheinlandpfälzischen Sprachmittlungslandschaft wird oft mit dem Prinzip „besser als nichts“ gearbeitet, das wir als Haus der Sprachmittlung zwar nachvollziehen, aber nicht gutheißen können. Vor allem wenn Minderjährige als Notfall-, ad-hoc- oder Standardsprachmittler*innen zum Einsatz kommen, sind Phänomene wie psychische Belastungen, gestörter Informationstransfer, Entscheidungen auf Basis falscher oder unvollständiger Informationen und Rollenkonflikte vorprogrammiert. Hier wollen wir alle Menschen in Rheinland-Pfalz sensibilisieren, dass wir uns in der hiesigen Sprachmittlungslandschaft Stück für Stück von „besser als nichts“ zu „besser ist besser“ bewegen. Das ist eine Mammutaufgabe, der wir uns vom Haus der Sprachmittlung stellen und dabei so viele Partner*innen und Verbündete mitnehmen wollen.